XCO in Lenzerheide: Grosses Drama, ein überraschender Sieger und eine dominante Französin
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VON PHILIP LEIDINGER
Bergfloh Lecomte meldet sich endgültig zurück – Keller lässt Heimpublikum jubeln
Bei kühlen 12 Grad Celsius auf 1‘500 Metern zeigten die Elite-Frauen ein über weite Strecke spannendes Cross-Country Olympic Rennen. Bereits in der eher verhalten gefahrenen Startrunde setzten sich die üblichen Verdächtigen an der Spitze fest, aus denen sich im Laufe der ersten Runde ein Quintett aus Jenny Rissveds (SWE), Jolanda Neff (SUI), Loana Lecomte (FRA), Alessandra Keller (SUI) und Martina Berta (ITA) absetzte. Genau wie in Leogang sollte der vorentscheidende Angriff dann wieder von Lecomte kommen. Nur Rissveds und Keller konnten zunächst mitgehen. Bereits zum Ende der ersten Runde fuhr das Trio mit fast 30 Sekunden Vorsprung vorne weg. Diese Top 3 sollte das Frauenfeld mit wechselnder Führungsarbeit für die nächsten drei Runden weiter dominieren, bis der französische Bergfloh im längsten Anstieg der vierten Runde erneut die Entscheidung suchte und sich von Keller und Rissveds absetzen konnte. Trotz der eher kurzen Anstiege in Lenzerheide gelang es der Weltcupgesamtsiegerin von 2021 den Vorsprung auszubauen und letztlich einen ungefährdeten Sieg zu feiern. Im Kampf um Platz 2 musste sich die aufopfernd kämpfende Alessandra Keller im flachen und wurzeligen letzten Streckenabschnitt Jenny Rissveds geschlagen geben, die ihren Sieg im Short Track mit Platz 2 über die Olympische Distanz krönte.
Doch nicht nur die Entscheidungen im Spitzentrio waren hart umkämpft. Dahinter lieferten sich gleich eine ganze Reihe von Topfahrerinnen packende Duelle in wechselnden Konstellationen in den ersten beiden Verfolgergruppen. Das Podium komplettierten schliesslich Pauline Ferrand-Prévot (FRA) und Anne Terpstra (NED), die erst im Zielsprint die Reihenfolge bestimmten. Jolanda Neff landete nach zwischenzeitlich durchwachsener Leistung aber einem starken Finish auf dem sechsten Platz. Weltcupführende Rebecca McConnell (AUS) scheint nach ihrem perfekten Saisonbeginn weiterhin nach ihrer Form zu suchen und muss nach dem 14. Platz auch das Leader Jersey an Loana Lecomte weiterreichen, die nun mit einem Platz das Gesamtklassement anführt. Beste Österreicherin wurde Mona Mitterwallner auf Rang 13. Leonie Daubermann belegte als beste Deutsche den 28. Platz.
«Ich bin sehr glücklich. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gedacht, dass ich heute gewinnen würde. Es ist das erste Mal, dass ich hier gewinne – ein tolles Wochenende. Ich war ein bisschen müde, habe mich nicht besonders gut gefühlt und habe einfach versucht, ein gutes Rennen zu fahren. Dass ich die Führung in der Gesamtwertung übernommen habe, ist toll, aber wird meine Pläne für die Saison nicht ändern.» – Loana Lecomte
«Es war so anstrengend und hart, aber gut. Ich mag es hier in der Lenzerheide wie jedes Jahr, ja und es war gut!» – Jenny Rissveds
«Nun, die Atmosphäre und die Leute haben alles für uns gegeben! Es gab so viele, die mir als Schweizer Meisterin zujubelten, und ich habe versucht, das aufzunehmen und als zusätzliche Motivation zu nutzen. Ich bin sehr glücklich über meine Leistungen an diesem Wochenende, besonders über meinen dritten Platz heute. Ich meine, das ist meine beste Weltcup-Platzierung bis jetzt und ich freue mich sehr, nächstes Jahr wieder dabei zu sein.» – Alessandra Keller
XCO Frauen Ergebnisse Top 5:
1. Loana Lecomte (FRA) 1:17:31
2. Jenny Rissveds (SWE) 1:17:39
3. Alessandra Keller (SUI) 1:17:55
4. Pauline Ferrand-Prévot (FRA) 1:19.37
5. Anne Terpstra (NED) 1:19:37
XCO Frauen Weltcupgesamtwertung Top 5:
1. Loana Lecomte (FRA) 1204 Points
2. Rebecca Mcconnell (AUS) 1203 Points
3. Jenny Rissveds (SWE) 975 Points
4. Anne Terpstra (NED) 890 Points
5. Alessandra Keller (SUI) 832 Points
Luca Braidot und Alan Hatherly sprengen Schweizer Party in wahnwitzigem Finish
Von den 113 Ridern, die in der Herren-Elite über die Olympische Distanz an den Start gingen, stand vor allem Lokalmatador Nino Schurter (SUI) im Fokus, dem vor dem Rennen nur noch ein Sieg zum alleinigen Rekord für die meisten Weltcupsiege fehlte. Und Schurter zeigte gleich von Beginn an, dass er die diesen Rekord zu Hause feiern wollte und fuhr mit hohem Tempo voran. Eine kleine Spitzengruppe aus Schurter, Filippo Colombo (SUI) und Alan Hatherly (RSA) hatte eine grössere Gruppe um Mathias Flückiger (SUI) direkt auf den Fersen – die Top 16 trennten weniger als 15 Sekunden.
Im Laufe der zweiten Runde setzte sich in einem engen Rennen schliesslich eine Vierergruppe aus Schurter, Flückiger, Colombo und Hatherly weiter ab, bis der starke Italiener Luca Braidot in Mitte des Rennens dazu stiess und direkt die Führung übernahm.
Durch sein gedrosseltes Tempo konnte auch der Spanier David Valero Serrano aufschliessen. Gegen Ende der vierten Runde suchte Flückiger die Vorentscheidung und zog zusammen mit Schurter davon. Während Braidot und Hatherly sich zurückkämpfen konnten, fielen Colombo und Valero Serrano zurück.
Was bis zum Ende der letzten Runde nach einem Schweizer Doppelsieg mit möglichem Rekord Schurters aussah, entwickelte sich zu einem unglaublichen Drama: Nachdem zunächst Flückiger im letzten, breiten Anstieg in der Tech-Zone an Schurter vorbeigehen konnte, folgte der Konter des Rekordjägers auf dem Fuss. Schurter vor Flückiger vor Braidot und Hatherly ging es in das letzte Wurzelstück im Wald, aus dem der Italiener und der Südafrikaner überraschend auf den Plätzen eins und zwei herauskamen und im Zielsprint die Entscheidung erzwangen. Die beiden grossen Schweizer Rivalen hatten sich bei einem erneuten Überholversuch Flückigers gegenseitig aus dem Rennen genommen. Während Flückiger anschliessend von einem unglücklichen Crash sprach, der aber zum Rennsport dazu gehöre, machte Schurter seinem Landsmann schwere Vorwürfe, ihn durch dieses Manöver an einer Stelle, die eigentlich kein Überholen zulässt, regelrecht abgeschossen zu haben.
Letztlich krönte also Luca Braidot seine starke Leistung mit seinem ersten, wenn auch überraschenden, Weltcupsieg und Alan Hatherly kann sich über den zweiten Platz freuen. Die beiden Männer, die das gesamte Rennen dominiert hatten, müssen sich bei ihrem Heimweltcup mit den Rängen drei und vier begnügen. Nino Schurter wird bereits nächstes Wochenende in Andorra die Rekordjagd fortsetzen können, während Mathias Flückiger weiter auf seinen ersten Weltcupsieg auf heimischem Boden warten muss.
Bester Deutscher wurde ein starker Luca Schwarzbauer auf Rang 9. Max Foidl (AUT) beendete das Rennen als 29er.
«Das ist magisch. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich sehe immer noch Nino und Flückiger vorne. Die beiden sind gestürzt. Wir gingen an ihnen vorbei. Dann blieben noch Hatherly und ich übrig. Ich hatte Schmerzen in meinem Bein und der Sprint war sehr hart. Morgen werde ich vielleicht realisieren, was ich hier erreicht habe.» – Luca Braidot
„Ein wirklich taktisches Rennen war das heute. Nino, Flückiger und Colombo fuhren ein starkes Rennen und versuchten, das Feld zu entzerren und sich abzusetzen. Ich blieb einfach geduldig und selbstbewusst Es ist wirklich schwer, hier auf dieser Höhe ein hohes Tempo zu halten. Ich bin jedes Mal weiter hinten drangeblieben, um Energie zu sparen. Ich wartete auf den Sprint und erwartete eigentlich einen 4-Mann-Sprint, aber es wurde ein 2-Mann Sprint zwischen mir und Luca durch den Crash zwischen Nino und Mathias. Ich bin Zweiter, das ist mein bestes Weltcup-Ergebnis auf Olympischer Distanz, und es stehen noch viele weitere Weltcups an, ich kann kaum auf die nächsten warten.» – Alan Hatherly
«Im letzten Waldstück bei einer der letzten Passagen hat er probiert zu überholen, wo es einfach nicht geht und hat mich abgeschossen. Es ist traurig! Wir wären auf eins und zwei gewesen und ich hätte ziemlich sicher gewonnen. Eine bessere Situation hätte es für meinen Rekord nicht gegeben. Es ist eine schlechte Antwort von ihm, ich kann es nur so interpretieren, dass er die Niederlage von letztem Jahr nicht verkraftet hat und mich deswegen einfach abgeschossen hat. Ich verstehe es wirklich nicht!» – Nino Schurter
«Das ist Rennfahren. Wir haben uns mehrmals im gesamten Rennen gegenseitig überholt. Es wurde immer enger zwischen uns nach jedem Überholmanöver. Dann haben wir uns touchiert und sind gestürzt. Es ist nicht schön, das Rennen so zu beenden, aber es ist, wie es ist. Das kann eben im Rennsport passieren.» – Mathias Flückiger
XCO Männer Ergebnisse Top 5:
1. Luca Braidot (ITA) 1:17:32
2. Alan Hatherly (RSA) 1:17:32
3. Mathias Flückiger (SUI) 1:17:36
4. Nino Schurter (SUI) 1:17:44
5. Filippo Colombo (SUI) 1:18:04
XCO Männer Weltcupgesamtwertung Top 5:
1. Nino Schurter (SUI) 1154 Points
2. Alan Hatherly (RSA) 942 Points
3. Mathias Flückiger (SUI) 936 Points
4. Vlad Dascalu (ROU) 882 Points
5. Maxime Marotte (FRA) 691 Points
Pedersen und Vidaurre Kossmann gewinnen U23-Wettbewerbe
Als ersten des Tages durften die U23 Damen die Olympische Distanz in Angriff nehmen, wobei sich schliesslich die Dänin Sofie Pedersen knapp vor der Gesamtweltcupführenden Line Burqier durchsetzte. Starke dritte wurde Puck Pieterse (NED), die das letzte Rennen in Leogang gewann. Mit diesem Ergebnis bleibt die junge Französin Line Burqier mit einem souveränen Vorsprung von 145 Punkten an der Spitze der Gesamtwertung, während Sofie Pedersen den zweiten Platz übernimmt und Puck Pieterse auf Platz drei rutscht.
Als letzte Rider des Tages durften die U23 Männer ihr Rennen austragen, nachdem die meisten Zuschauer sich vom packenden und dramatischen Elite Rennen erholt hatten. Wie bereits in Leogang führte erneut kein Weg am Chilenen Martin Vidaurre Kossmann vorbei, der seine Führung im Gesamtweltcup entsprechend weiter ausbauen konnte. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Carter Woods aus Kanada und Charlie Aldridge aus Grossbritannien.
Bike Kingdom Games feiern grosses Mountainbike-Fest mit fast 30.000 Zuschauern
Das grosse Drama ganz zum Schluss tat der hervorragenden Stimmung bei den Bike Kingdom Games keinen Abbruch. Insgesamt hatten sich über 27.000 Besucher auf zum Weltcup in Lenzerheide gemacht, um ihre Helden während des gesamten Wochenendes zu unterstützen. Erwartungsgemäss erreichten die Zuschauerzahlen am XCO-Sonntag ihren Höhepunkt, als rund 11.500 Mountainbike-Fans die Schweizer Parade-Disziplin live vor Ort verfolgten. OK-Chef Christoph Müller zieht eine entsprechend positive Bilanz:
«Grundsätzlich sind wir sehr zufrieden mit dem Wochenende. Wir hatten einen Besucherrekord zu verzeichnen, was nach den Jahren mit Covid sehr schön ist. Sportlich gesehen war es wie immer ein Highlight, vom Short Track Rennen am Freitag über Downhill am Samstag und heute am Sonntag das Cross-Country-Rennen. Leider hat es für einen Schweizer Sieg hier am Wochenende nicht gereicht, aber wir hoffen, dass es nächstes Jahr der Fall sein wird. Es ist alles aufgegangen. Wie am ganzen Wochenende hat auch heute das Wetter gestimmt, aber leider hatten wir heute nicht das nötige Glück einen Schweizer Erfolg zu feiern.»
Für alle, die nicht live beim Doppel-Weltcup dabei sein konnten, gibt es die Möglichkeit, die Elite-Finalrennen im Replay auf Red Bull TV zu geniessen.