16. Juni 2023

Mit viel Zeit und einer Lupe

Reportagenreihe «zTal und zBerg.
Schanfigger Momentaufnahmen». Heute im Porträt: Brigitta Schatzmann

Auf dem Weg zu Brigitta Schatzmanns Zuhause läuft man über die Zuggleise am Bahnhof Langwies und dann weiter auf der Palätscher-Strasse. Nach einer Zeit sieht man ein Holzhaus, das etwas abseits inmitten einer Blumenwiese steht und das – so merkt Brigitta an – gar eines der ältesten Holzhäuser in ganz Langwies sein könnte. Im Talboden hört und sieht man die reissende Plessur, unterhalb vom Haus geht die Stromleitung durch und oberhalb schlängelt sich die RhB dem Hang entlang. Trotz dieses spannungsgeladenen Umfelds ruht Brigittas Haus in totaler Unaufgeregtheit. Einfach gebaut, mit engen Gängen und kleinen, wunderbar verzogenen Fenstern, einer Küche für das Nötigste und einem Anbau, um ein bisschen Platz zu haben. Vor der Haustüre ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen, genau auf der Schwelle vom eigenen Zuhause und der Schanfigger Natur. In dieser (Weg-)Beschreibung findet sich schon vieles von dem, was Brigittas Leben und Wirken im Schanfigg so spannend und gleichsam entspannt macht. Es ist geprägtvon unentwegter Bewegung und bewusstem Stillstand, vom Unterwegssein, aufmerksam alles wahrnehmen, aber auch vom Rückzug und vom bewussten Leben etwas abseits des Rummels.

Mensch und Natur

Dass Brigitta scheinbare Gegensätze spielend verbindet, zeigt sich auch mit Blick auf ihre umtriebigen Tätigkeiten. Im Jahr 1974 ist sie ins Schanfigg gekommen. Mit ihrem Ex-Mann, mit dem sie drei Kinder hat, führte sie 20 Jahre das Skihaus Pirigen – ohne Strom, dafür mit Sonnenenergie, Holzkochherd und Kachelofen. Auch arbeitete sie lange in der Spitex und im Winter war sie auch als Skilehrerin tätig. Mittlerweile setzt sie sich engagiert für die Schanfigger Natur ein. Sei es innerhalb der IG Naturweg Schanfigg oder in Form ihrer geführten Biodiversitäts-Exkursionen. Diesen Samstag etwa, am 17. Juni, nimmt sie alle Interessierten mit nach Maselva, von wo aus sie das Gebiet zu Fuss erkundet. Sie erzählt nicht nur über das Thema «Bergblumen/Moore – Botanik Grundlagen», sondern sensibilisiert auch dafür, wie fragil unsere Natur ist. Ist sie mal nicht draussen unterwegs, arbeitet sie nebenbei auch als Sitzwache bei Tecum und begleitet Schwerkranke und Sterbende. «Nicht, dass die Leute meinen, ich hocke nur in den Blumen» – fügt sie lachend hinzu. Wobei die beiden Tätigkeitsfelder letzten Endes vielleicht mehr miteinander zu tun haben als auf den ersten Blick angenommen. Den Menschen umsorgen und der Natur Sorge tragen – vielleicht ist es gar ein und dasselbe.

Entschleunigte Momente

Es ist selbstredend, dass man letztendlich nur dem Sorge tragen kann, was man auch wahrnimmt und schätzt. Dementsprechend geht es in Brigittas Exkursionen vornehmlich um entschleunigte Momente und gesteigerte Wahrnehmung. Und so folgen ihre Exkursionen weniger einer getakteten, vorbestimmten Route, als dem individuellen Interesse der Teilnehmenden. Sie schaue dann einfach, wie weit man jeweils kommt. Manchmal weit, manchmal aber bewege man sich kaum vorwärts. Schliesslich lässt sich halt überall so viel entdecken. Passend dazu bringt sie für die Leute kleine Lupen mit. Der Blick durch die Lupe brauche zu Beginn etwas Übung. Hat man den Dreh aber mal raus, faszinieren auch die scheinbar einfachsten Blumen. Ein Vergissmeinnicht von ganz nah zu betrachten löse in ihr immer noch Faszination aus. Man sehe Details, die man von blossem Auge nicht sehen kann. In solchen Momenten dürfe man auch einfach mal staunen, ohne gross zu wissen.

Reisetagebücher, Herbarien und Malerei

Es ist kein Widerspruch, dass Brigittas Fähigkeit zum Staunen trotzdem auf umfangreichem Wissen fusst. Sie bezieht dieses Wissen nicht nur aus Fachliteratur und den von ihr besuchten Feldbotanik-Kursen. Vielmehr sammelt sie es über Jahre und Jahrzehnte hinweg, indem sie aufmerksam durch die Welt zieht und Beobachtetes und Gelerntes auf unterschiedliche Weise festhält. Ein prägnantes Beispiel dafür sind ihre skizzierten Reisetagebücher. Etwa von ihrer Reise nach Kirgistan, wo sie vieles, was sie gesehen hat und ihr aufgefallen ist, bildlich festhält und stichwortartig beschreibt. Diese Skizzenbücher gleichen einer sinnlichen Erinnerungsstütze. Sie sind wie ein Archiv, mit dessen Hilfe sie auf all das Gesehene und Gelernte zurückgreifen kann. Gleiches gilt für ihre Herbarien, die einen Querschnitt der Bündner Biodiversität abbilden, vom zottigen Habichtkraut und Mutternwurz bis hin zum einköpfigen Ferkelkraut. Dabei ist es auffällig, mit wie viel künstlerischer Sorgfalt sie die einzelnen Exemplare einklebt und mit Namen beschriftet. Diese feine, stilisierte Art, die Fragilität und Vergänglichkeit der einzelnen Blumen einzufangen, setzt sich bei Brigitta auch in anderen Medien fort, etwa in ihrer Acryl-, Aquarell- und Ölmalerei oder im Zeichnen. Selber sagt sie, dass sie die Übersichtskarte vom Tal – die auf Tischsets und Faltprospekten zu sehen ist – nicht so hätte zeichnen können, wenn sie das Schanfigg nicht derart gut kennen würde. Gleichzeitig nehme sie aber über das Zeichnen und Malen überhaupt erst so viel wahr. Ein ewiger Kreislauf – eigentlich ganz passend zur Natur, von der sich Brigitta laufend inspirieren lässt.

 

Fotos: Nina Homberger

Text: Carla Gabrí, in Zusammenarbeit mit Brigitta und Cilgia Schatzmann

Carla Cabrí Arosa Tourismus | © Arosa Tourismus
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Carla Gabri
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