9. Juni 2023

Zwei ziehen am gleichen Strang

Reportagenreihe «zTal und zBerg.
Schanfigger Momentaufnahmen». Heute im Selbstporträt: Evie Sprecher und Hanspeter Mohler

Hanspeter und ich sind beide auf einem Bauernhof aufgewachsen, er in Bennwil (BL) und ich in Langwies (GR). Wir erlebten von Klein auf die Selbstversorgung als alltägliche Selbstverständlichkeit. Diese Selbstversorgung war verbunden mit viel Arbeit, doch sie lehrte uns die verschiedensten praktischen Fertigkeiten im Haus, auf dem Pflanzblätz oder im Garten, im Stall, auf dem Feld und im Wald. Zum Spielen blieb nicht so viel Zeit, dafür konnten wir eine Kuh melken, waren beim Metzgen und Wursten dabei, wussten, wie ein Baum gefällt wird, und konnten Holz «schiitä und biigä». Das alles erforderte manchmal viel Ausdauer. Wir erlebten dabei aber auch eine grosse Naturverbundenheit mit den Tieren, den Pflanzen, den Wettereinflüssen und Jahreszeiten.

Zurück zu den Wurzeln

Evie: Es gibt da eine kleine Geschichte, die vielleicht erklärt, warum ich mich im Garten wie ein Fisch im Wasser fühle. Bereits als Teenie verbrachte ich viel Zeit im Garten. Eines Tages schauten mir Ätti und Mama zu und sinnierten: «Weisst du noch, der Gartenzaun ist ein Werk aus unseren Flitterwochen», sagte meine Mama. Darauf erwiderte Ätti schmunzelnd: «Ja, und die Gärtnerin auch gleich dazu». Zirkusdirektorin oder Reiseleiterin in die Türkei waren nicht so einfach zu realisierende Berufswünsche, daher entschied ich mich für Konditorin. Der Beruf an sich gefiel mir, doch die Backstuben waren mir bald zu eng. Indem ich mich immer wieder mutig auf etwas Neues einliess, kann ich mich inzwischen als erfolgreiche Quereinsteigerin bezeichnen. Besonders erfüllend waren die zehn Jahre als Betriebsleiterin und «Herbergsmutter» in der Jugendherberge Fribourg. Als ich dann vor elf Jahren Hanspeter in Soglio kennenlernte, wusste ich sogleich: Mit ihm zusammen kann ich zu meinen Wurzeln und meiner Leidenschaft für die Pflanzen zurückkehren.

Von Bennwil über Israel ins Bergell

Hanspeter: Ich begleitete lieber meinen Vater auf den Pflanzblätz oder half bei der Kirschernte, als dass ich zur Schule ging. Zu Weihnachten erhielt ich jeweils eine Tafel Schokolade und Briefmarken aus fernen Ländern. Diese bunten Marken haben es mir angetan und der Entschluss, diese Länder zu besuchen, stand früh fest. Kurz nach dem Lehrabschluss als Feinmechaniker zog ich als 20-Jähriger ohne ein Wort Englisch zu kennen, aber neugierig und furchtlos in die weite Welt. Im Kibbuz Hefziba in Israel half ich beim Aufbau einer Firma für die Bewässerung mit Tropfsystem mit. In schwierigen Zeiten war ich auch für 20000 Hühner und das Melken von 200 Kühen zuständig. Die Israeli übertrugen mir viel Verantwortung und brachten mir grosses Vertrauen entgegen. Die grossen Herausforderungen, sowie die Akzeptanz, die ich erlebte, beflügelten mich. Die meisten Europäer blieben zwei bis drei Monate im Kibbuz. Ich blieb sieben Jahre. Zurück in der Schweiz arbeite ich auf einem Demeter-Betrieb im Thurgau, bevor ich mich entschied, sesshaft zu werden und ab 1992 eine Selbstständigkeit als Kräuterbauer für die Soglio Produkte AG im Bergell aufbaute.

Ein bunter Kontrastpunkt

Hanspeter wollte nicht in die Stadt ziehen und ich nicht ganzjährig nach Soglio und so sind wir schliesslich 2014 nach Pagig gezogen. Es folgten Jahre intensiver Aufbauarbeit im Biogarten Schanfigg. Gleichzeitig führen wir den Betrieb in Soglio weiter, indem wir von Frühling bis Herbst immer wieder für ein paar Tage ins Bergell fahren. Diese Abwechslung und das Ambiente vom Süden schätzen wir sehr und empfinden es immer wieder wie Ferien. Dabei wussten wir am Anfang nicht, ob wir das alles unter einen Hut kriegen würden. Wir hatten keinen genauen Plan im Kopf, vielmehr haben wir nach unserem Kompass im Herzen gearbeitet. Mit einem Kräuter- und Gemüseanbau-Betrieb im Berggebiet wollten wir einen bunten Kontrastpunkt zu den Kleinbetrieben im Schanfigg setzen. Die Nähe zu unseren Kunden ist uns wichtig. Daher entstand von Anfang an die Idee, einmal pro Woche im Garten einen Marktstand aufzustellen, anstatt nach Chur auf den Markt zu fahren. Somit kann unsere Kundschaft durch den Garten laufen und selber auswählen, was auf den Teller kommt. Das schätzen die Leute sehr und es entstehen auch immer wieder schöne Gespräche.

Einer allein hätte das nie geschafft

Über die Jahre sind wir ein eingespieltes Team geworden. Hanspeter kümmert sich ums Bewässern, die Schädlinge und seine vielen Tomatensorten. Im Moment ist er gerade dabei, ein Tropfsystem einzurichten, das uns helfen wird, massiv Wasser zu sparen. Ich kümmere mich ums Jäten, die Blumen und seit letztem Jahr stelle ich mit viel Begeisterung selber Bokashi her – ein super Dünger aus den eigenen Grünabfällen. Ab und zu blicken wir dankbar zurück und staunen wie viel gewachsen ist. Oft sagen wir zueinander: «Einer allein hätte das nie geschafft, doch wenn zwei zusammen am gleichen Strick ziehen, entsteht so viel mehr». Dieses Jahr nun möchten wir den Garten vermehrt öffnen und unseren Erfahrungsschatz in Form von Führungen und Workshops teilen. Am 17. Juni, von 14–16.30 Uhr, bieten wir beispielsweise einen Bokashi-Workshop an, bei dem man selber aus Grünabfällen und mithilfe von effektiven Mikroorganismen (EM) Dünger herstellt. Am 21. und 28. Juli, sowie am 4. August, jeweils von 14.30–16 Uhr, bieten wir ausserdem Führungen zum Thema «Der Kreislauf im Gemüsegarten» an. Die Themen sollen zur Jahreszeit passen und inspirieren, aber auch aufzeigen, wie viel es braucht vom Samen bis zum erntereifen Gemüse auf unseren Tellern. Dabei wirds auch immer etwas zu degustieren geben. Wir sind gespannt und freuen uns auf interessante Begegnungen. Hanspeter und Evie

 

Fotos: Ursula Meisser

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Evie Sprecher
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